Vorabentscheidungsersuchen des Fövárosi Törvényszék (Ungarisches Hauptstadtbezirksgericht) vom 23.5.2024 zur Ablehnung der Transaktionswertmethode wegen Zweifel an der Richtigkeit des angemeldeten Preises und zur Beachtung der Methodenreihenfolge

10.9.2024

Mit Vorabentscheidungsersuchen vom 23. Mai 2024 hat das Ungarische Hauptstadtbezirksgericht dem EuGH eine Vielzahl von Fragen gestellt, die zum einen die Anwendung von Art. 140 UZK-IA (1. Vorlagefrage) und zum anderen die Beachtung der Methodenreihenfolge (Vorlagefragen 2 bis 9) betreffen (C- 407/24 – „VTL Vámügynökség Kft.“). Insbesondere die 1. Vorlagefrage kann für die Praxis von enormer Bedeutung sein.

Zum Sachverhalt: 

Der Ausgangsrechtsstreit betrifft die Bestimmung des Zollwerts von Kunststoffbrieftaschen (insgesamt: 3.490 kg), die im August 2019 aus China nach Ungarn eingeführt wurden. Die ungarische Zollbehörde entschied, die Kunststoffbrieftaschen nach deren Einfuhr zum zollrechtlich freien Verkehr zu überlassen, ohne die Waren und deren Unterlagen zu prüfen. Später, im Juli 2021, führte die Zollbehörde eine nachträgliche Kontrolle durch und forderte die Klägerin, ein Unternehmen, das als indirekter Vertreter auftrat, und den Einführer auf, die zur Ermittlung und Überprüfung des angemeldeten Zollwerts erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Nach Ansicht der Zollbehörde sind der Einführer und die Klägerin diesem Verlangen nicht vollständig nachgekommen, da nicht habe nachgewiesen werden können, dass der angemeldete Transaktionswert der Ware richtig gewesen sei. Dementsprechend bestimmte die Zollbehörde den Zollwert gemäß Art. 144 Abs. 2 UZK-IA neu, indem sie die Zolldatenbank filterte und auf Grundlage der Filterung den Preis je Einheit für ähnliche Waren berechnete und mit dem Gesamtgewicht der eingeführten Waren multiplizierte. Auf der Grundlage des so bestimmten Zollwerts ordnete sie die Nacherhebung von Zollabgaben an.

Die Klägerin legte einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung bei der Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung (im Folgenden: Beklagte) ein. Die Beklagte hielt die Entscheidung erster Instanz jedoch aufrecht, soweit sie die Erhebung von Zollabgaben betraf. Die Klägerin wandte sich daraufhin an das vorlegende Gericht.

Nach Ansicht der Klägerin hätte der Zollwert auf der Grundlage des angemeldeten Transaktionswerts ermittelt werden müssen. Die Beklagte habe in ihrer Entscheidung nicht angegeben, auf welcher Grundlage sie den niedrigen Transaktionswert anzweifele. Außerdem hätte die Beklagte, wenn sie Zweifel am Wert der Waren zum Zeitpunkt ihrer Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr gehabt haben sollte, eine Bestimmung des Zollwerts zum Zeitpunkt dieser Überlassung anordnen müssen, anstatt die Zolldifferenz am Ende des zweiten Jahres nach der Überlassung der Waren zu bestimmen. Darüber hinaus sei die von der Beklagten angewandte Methode nicht geeignet, den Transaktionswert zu bestimmen, sondern erlaube nur die Bestimmung eines ungefähren Wertes. Schließlich stütze die Excel-Tabelle, die die Zollbehörde ihrer Entscheidung beigefügt habe und die die Daten enthalte, auf denen ihre Berechnungen beruhten, die Feststellungen der Zollbehörde nicht.

Nach Ansicht der Beklagten kann die Art und Weise, in der der Kaufpreis der Waren ermittelt worden sei, zu Zweifeln der Zollbehörde führen, die die Klägerin trotz wiederholter Aufforderungen nicht habe ausräumen können. Der Begriff der begründeten Zweifel sei in der Durchführungsverordnung nicht bestimmt und müsse von der Zollbehörde in jedem Einzelfall festgestellt und hinreichend belegt werden. Diese Bedingung habe die Zollbehörde erfüllt.

Im Rahmen ihres Verfahrens habe die Zollbehörde die verbindliche Reihenfolge der im UZK vorgesehenen vorrangigen und nachrangigen Methoden für die Bestimmung des Zollwerts beachtet, aber keine dieser Methoden sei für die Bestimmung des Zollwerts geeignet gewesen. Bei der Filterung der Zolldatenbank habe sich die Zollbehörde objektiv auf den Mittelwert der verfügbaren Zollwerte gestützt, den die Klägerin aus der der Entscheidung der Zollbehörde beigefügten Excel-Tabelle habe entnehmen können.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichtes liegt die Besonderheit in diesem Rechtsstreit darin, dass es um Zollabgaben auf Massengüter geht, die keine individuellen oder besonderen Eigenschaften aufweisen – nämlich Kunststoffbrieftaschen aus China – und zu denen der EuGH in früheren Urteilen noch nicht Stellung genommen hat. Hierbei geht es dem vorlegenden ungarischen Gericht wohl um den Ausschluss der nachrangigen Methoden des Art. 74 Abs. 2 UZK, den die ungarische Zollbehörde wohl mit fehlenden Informationen zu den Eigenschaften der Ware (körperliche Eigenschaften, Qualität, Ansehen) begründet hat, sowie der flexiblen Anwendung dieser Methoden im Rahmen der Schlussmethode des Art. 74 Abs. 3 UZK i.V.m. Art. 144 Abs. 2 UZK-IA.

M.E. ist in diesem Fall jedoch die 1. Vorlagefrage viel interessanter. Denn das vorlegende ungarische Gericht fragt, ob Art. 140 UZK-IA dahin auszulegen ist, dass begründete Zweifel daran bestehen, dass der angemeldete Transaktionswert dem für die Ware tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis entspricht, weil der Steuerpflichtige trotz wiederholter Aufforderung durch die Zollbehörde keinen Nachweis für die tatsächliche Zahlung des Kaufpreises oder der Überweisung des Kaufpreises erbracht hat und der Zollbehörde die Buchhaltungsunterlagen über die Zahlung des Kaufpreises oder den geschäftlichen Schriftverkehr über die Transaktion (Angebot, Bestätigung des Angebots) nicht zur Verfügung gestellt hat und weil die Zahlung des angemeldeten Transaktionswerts nicht von dem kontoführenden Finanzinstitut bestätigt wurde.

Es ist also davon auszugehen, dass die ungarische Zollverwaltung das Verlassen der Transaktionswertmethode auf der Grundlage von Art. 140 UZK-IA damit begründet hat, dass insb. keine Zahlungsnachweise und Buchhaltungsunterlagen vorgelegt werden konnten. Diese Frage ist deshalb interessant, weil bei der indirekten Vertretung der indirekte Vertreter oftmals nicht in der Lage ist, insb. Buchhaltungsunterlagen des indirekt Vertretenen zum maßgebenden Kaufgeschäft vorzulegen. Wenn alleine dies schon ausreicht, um die Transaktionswertmethode zu verlassen, könnte dies dazu führen, dass die Zollbehörden Zweifel an angemeldeten Preisen gerade in Fällen der indirekten Vertretung künftig häufiger annehmen, ohne dafür weitere Begründungen, wie z.B. extrem niedrige Preise, die deutlich unterhalb von Richtwerten/Durchschnittspreisen liegen, anbringen zu müssen. Daher dürfte es für indirekte Vertreter umso mehr angezeigt sein, vertragliche Verpflichtungen des indirekt Vertretenen zum Schadensersatz bzw. zur Freistellung von Ansprüchen vorzusehen, wenn der indirekt Vertretene seinen vertraglichen Verpflichtungen zur Vorlage der zur Ermittlung und Überprüfung des angemeldeten Zollwerts notwendigen Unterlagen nicht nachkommt.

SV
 


Verlag C.F. Müller

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