Rechtsprechung: VerfGH NRW Beschluss v. 12.4.2024 – VerfGH 44/24.VB-2: Zu § 1829 IV BGB nF

24.5.2024

VerfGH NRW Beschluss v. 12.4.2024 – VerfGH 44/24.VB-2

Tenor: Der Klinik W GmbH wird vorläufig aufgegeben, das Abstellen lebenserhaltender Maßnahmen für Frau X, geboren am 00.00.1949, zu unterlassen, bis rechtskräftig über den Antrag der Antragstellerin vom 12.3.2024 auf Überprüfung der Entscheidung des Betreuers entschieden ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Sachverhalt: Die Antragstellerin (Tochter der Betreuten) wendet sich gegen ein Schreiben des AG Recklinghausen, das ein gerichtliches Einschreiten gegen die seinerzeit bereits angekündigte Zustimmung des vorläufig bestellten Betreuers zur Einstellung der lebenserhaltenden medizinischen Behandlung ablehnt.

Aus den Gründen: Gem. § 1829 Abs. 4 BGB ist eine Genehmigung nach § 1829 Abs. 1 und 2 BGB nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1827 BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreuerbefugnisse dabei zum einen dadurch Rechnung getragen, dass eine wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich des Patientenwillens stattfindet. Zum anderen können insbesondere der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte oder Vertrauenspersonen des Betreuten, aufgrund des Amtsermittlungsprinzips im Betreuungsverfahren jederzeit eine betreuungsgerichtliche Kontrolle der Betreuerentscheidung in Gang setzen (vgl. BGH Beschluss v. 17.9.2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226 = juris, Rn. 18; s. auch BVerfG Beschluss v. 2.11.2021 – 1 BvR 1575/18, NJW 2021, 3590 = juris, Rn. 35).

Der verfassungsrechtliche Justizgewähranspruch verlangt mithin eine förmliche, rechtsmittelfähige Entscheidung, die auch ein Negativattest zum Gegenstand haben kann, wenn sich eine Genehmigungspflicht gem. § 1829 Abs. 4 BGB nicht ergibt (vgl. BGH Beschluss v. 17.9.2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226 = juris, Rn. 20). Diesen Anforderungen wird das Schreiben des AG v. 12.3.2024 nicht gerecht.

In der Entscheidung des VerfGH NRW wird Bezug genommen auf den BGH-Beschluss aus dem Jahre 2014 zu (BGH XII ZB 202/13 Rn. 20 zu § 1904 IV BGB aF = § 1829 IV BGB nF):

Stellt das Gericht das Einvernehmen i.S.v. § 1904 Abs. 4 BGB fest, hat es den Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung ohne weitere gerichtliche Ermittlungen abzulehnen und ein sogenanntes Negativattest zu erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (LG Kleve FamRZ 2010, 1841, 1843; AG Nordenham FamRZ 2011, 1327, 1328; vgl. auch LG Oldenburg FamRZ 2010, 1470, 1471; MüKo-BGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 56; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1904 Rn. 13; HK-BUR/Bauer § 1904 Rn. 106; a.A. Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1904 BGB Rn. 11; Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1904 Rn. 22, wonach die Erteilung eines Negativattests nicht angezeigt sei). 

Gleiches gilt, wenn das Gericht trotz Einvernehmens zunächst einen Anlass für die Ermittlung des Patientenwillens mit den ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten sieht, aber nach der Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen entspricht.

 


Verlag C.F. Müller

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