23.4.2024
Der Technische Ausschuss für den Zollwert bei der WCO beschäftigt sich derzeit mit zwei Entwürfen zu Fallstudien, die im Zusammenhang mit der Verwendung von Verrechnungspreisdokumentationen bei der zollwertrechtlichen Prüfung von Preisen aus Kaufgeschäften zwischen verbundenen Kaufvertragsparteien stehen. Die beiden Fallstudien sollen die bisherigen Fallstudien 14.1 und 14.2, die ebenfalls dieses Thema zum Gegenstand haben, ergänzen.
Der im von Uruguay vorgelegten Entwurf geschilderte Fall ist fast identisch mit dem, der Gegenstand der Fallstudie 14.2 war (seinerzeit ebenfalls von Uruguay in den Ausschuss eingebracht), ergänzt diesen aber um einen für die Praxis sehr wichtigen Aspekt. In der Fallstudie 14.2 erwirtschafte der mit dem Verkäufer XCO im Ausfuhrland verbundene Käufer ICO im Einfuhrland beim Vertrieb der von XCO bezogenen Luxushandtaschen eine Bruttomarge, die deutlich oberhalb der Interquartilsbandbreite fremdüblicher Bruttomargen lag. Der WCO-Ausschuss zog daraus den Schluss, dass die unterjährig von XCO in Rechnung gestellten Preise durch die Verbundenheit beeinflusst waren und die Zollwerte nach den nachrangigen Methoden neu zu ermitteln sind.
Im nun von Uruguay vorgelegten Entwurf wird der Sachverhalt insofern ergänzt, dass im Einklang mit der Verrechnungspreispolitik des Konzerns wegen der deutlich zu hohen Bruttomarge von ICO am Ende des Jahres eine Ausgleichszahlung von ICO an XCO vorgenommen wird, um die zu hohe Bruttomarge auf das obere Ende der Interquartilsbandbreite fremdüblicher Bruttomargen (also auf das dritte Quartil) zu senken. Es handelt sich hierbei um eine nachträgliche Verrechnungspreisanpassung, die seit einigen Jahren – spätestens seit den Urteilen des EuGH und des BFH in der Rs. Hamamatsu – auch Gegenstand unzähliger Diskussionen und Veröffentlichungen in Deutschland und der EU sind.
Im derzeitigen Entwurf kommt Uruguay zu dem Schluss, dass die endgültigen Preise - also die unterjährig angemeldeten Preise einschließlich der Verrechnungspreisanpassung am Jahresende - zur Zollwertermittlung nach Art. 1 GATT-Zollwert-Kodex (Transaktionswert; entspricht Art. 70 UZK) heranzuziehen sind. Uruguay begründet dies damit, dass nach dem Kommentar Nr. 4.1 des Technischen Ausschusses der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis die Gesamtzahlung des Käufers an den Verkäufer ausmacht. Wie die in Kommentar Nr. 4.1 beschriebene Preisanpassungsklausel enthält auch die Verrechnungspreispolitik in der Unternehmensgruppe von ICO und XCO eine Formel, in der die Faktoren als Grundlage für die Festlegung des Endpreises festgelegt sind (Anpassung der Marge auf den oberen Rand der fremdüblichen Bandbreite). Unter Anwendung der Formel und Anpassung der Verrechnungspreise wird der an den Verkäufer XCO zu zahlende Preis nachträglich erhöht.
Dies entspricht auch der Auffassung der deutschen Zollverwaltung, die solche Verrechnungspreisanpassungen im Rahmen einer Zollwertermittlung nach Art. 70 UZK zollwerterhöhend berücksichtigt, wenn die Anpassungen im Vorfeld der Einfuhren vertraglich (z.B. in einem Manufacturing oder Distribution Agreement) vereinbart wurden und produktbezogen (bzw. für Produktgruppen mit gleichen Zollsätzen) erfolgen. Zur Produktbezogenheit wird im derzeitigen Entwurf der neuen Fallstudie bislang zwar nichts ausgeführt. Da es sich bei den Einfuhrwaren laut Sachverhalt aber ausschließlich um Luxushandtaschen handelt, sollte davon ausgegangen werden, dass diese dem gleichen Zollsatz unterliegen. Eine Klarstellung wäre allerdings wünschenswert. Auf der 58. Sitzung des Ausschusses vom 15. bis 19.4.2024 wurde klargestellt, dass der Fall eine hohe Praxisrelevanz hat und bei der 59. Sitzung (voraussichtlich Mitte Oktober 2024) wieder auf der Tagesordnung stehen wird.
Daneben hat auch Brasilien einen sehr interessanten Entwurf einer Fallstudie in den Ausschuss eingebracht und nach der 57. Sitzung gemeinsam mit anderen Mitgliedern noch verfeinert. In dieser Fallstudie geht es um die zollwertrechtliche Behandlung von Verrechnungspreisen, die nach der „Cost-Plus-Method“ (= Kostenaufschlagsmethode) ermittelt worden sind.
In der Fallstudie bezieht der Einführer ICO Autoteile von dem mit ihm verbundenen XCO im Ausfuhrland zum FOB-Preis von 10,00 cost per unit (c.u.). Zuzüglich Versicherungskosten (1,00 c.u.) und Frachtkosten bis zum Einfuhrort (2,00 c.u.) betrug der Zollwert 13,00 c.u. Im Rahmen einer Zollprüfung bei ICO ergaben sich Zweifel an der Annehmbarkeit der angemeldeten Preise (Anm.: aus welchen Gründen sich Zweifel ergaben, wird nicht erläutert). Aus einer daraufhin vorgelegten Konzern-Verrechnungspreisrichtlinie ergab sich, dass die Verrechnungspreise zwischen XCO und ICO nach der „Cost-Plus-Method“ gebildet werden, bei der zu den Herstellkosten für die eingeführten Waren (hier werden als durchschnittliche gewogene Produktionskosten 15,00 c.u. genannt) ein fremdüblicher Aufschlag (Bruttomarge) addiert wird, um einen „arm`s lenght price“ zu erhalten. Die fremdübliche Bruttomarge ermittelte der Konzern durch eine Datenbankanalyse. Diese ergab Bruttomargen von vergleichbaren Unternehmen zwischen 15% und 25%, mit einem Median von 20%. Es wird die Frage gestellt, ob die Informationen aus der Verrechnungspreisrichtlinie des Konzerns dazu führen, dass der angemeldete Transaktionswert durch die Verbundenheit der Kaufvertragsparteien als beeinflusst anzusehen ist und wie in einem solchen Fall der Zollwert zu ermitteln wäre.
Im Rahmen der Analyse des Falles wird zunächst darauf hingewiesen, dass die Zollverwaltung nach der Erläuternden Anmerkung zu Art. 1 GATT-Zollwert-Kodex bereit sein sollte, die relevanten Aspekte des Geschäftsvorgangs zu prüfen, einschließlich der Art und Weise, wie Käufer und Verkäufer ihre Geschäftsbeziehungen gestalten, und die Art und Weise, wie der fragliche Preis zustande gekommen ist, um festzustellen, ob die Verbundenheit den Preis beeinflusst hat. Ferner werden in dieser Erläuternden Anmerkung Beispiele dafür angeführt, wie nachgewiesen werden kann, dass Käufer und Verkäufer - obwohl sie miteinander verbunden sind - voneinander kaufen oder aneinander verkaufen, als wenn sie nicht miteinander verbunden wären (Fremdverhaltensgrundsatz) und der Preis damit nicht beeinflusst ist. Dies wäre z.B. der Fall, wenn aufgezeigt werden kann, dass der Preis ausreicht, um die Deckung aller Kosten zuzüglich eines Gewinns zu gewährleisten, der dem allgemeinen Gewinn des Unternehmens innerhalb eines repräsentativen Zeitraums (zum Beispiel auf jährlicher Grundlage) bei Verkäufen von Waren der gleichen Gattung oder Art entspricht. Des Weiteren wird auf den Kommentar Nr. 23.1 hingewiesen, nach dem Verrechnungspreisdokumentationen auch für die Zollwertermittlung relevante Informationen enthalten können.
Man kommt in der Fallstudie schließlich zu dem Schluss, dass der angemeldete FOB-Preis (10,00 c.u.) nicht ausgereicht hat, um alle Kosten zuzüglich eines angemessenen Gewinns für XCO zu decken. Im Gegenteil hat XCO bei den Geschäften mit ICO eine negative Gewinnspanne (also einen Verlust) erwirtschaftet, die unterhalb der Gewinnspannen von mit XCO vergleichbarer Hersteller lag. Daher wurde der unterjährige Preis nicht in einer Weise gebildet, die mit der üblichen Preispraxis des betreffenden Wirtschaftskreises vereinbar ist. Da auch keine Anpassungszahlungen vorgenommen wurden, waren die Preise aufgrund der Verbundenheit beeinflusst.
Schließlich wird noch ausgeführt, dass der Zollwert in einem solchen Fall ermittelt werden kann, in dem im Rahmen einer flexiblen Anwendung der Methode des errechneten Wertes (Art. 6 GATT-Zollwert-Kodex; entspricht Art. 74 Abs. 2 Buchst. d UZK) im Rahmen der Schlussmethode (Art. 7 GATT-Zollwert-Kodex; entspricht Art. 74 Abs. 3 UZK) von den durchschnittlichen Produktionskosten (15,00 c.u.) ausgegangen wird und diesen ein angemessener Bruttoaufschlag hinzuaddiert wird. Diesbezüglich einigte sich die Zollbehörde mit dem Unternehmen, den Median fremdüblicher Bruttomargen (20%) zu verwenden. Somit beträgt der Zollwert 21,00 c.u. [15,00 c.u. Herstellkosten + 3,00 c.u. Bruttomarge (20% von 15,00 c.u.) + 1,00 c.u. Versicherungskosten + 2,00 c.u. Frachtkosten]. In diesem Zusammenhang ist noch wichtig zu erwähnen, dass die Produktionskosten laut Sachverhalt alle direkten und indirekten Kosten enthalten und in dem betreffenden Jahr keine signifikanten Kostenunterschiede aufgetreten sind.
Im Rahmen der 59. Sitzung vom 15. bis 19.4.2024 merkte die ICC zwar an, dass der Fall eher unrealistisch sei, da in solchen Fällen in der Praxis am Ende des Jahres normalerweise nachträgliche Verrechnungspreisanpassungen erfolgen. Hinsichtlich des Ergebnisses konnte aber ein Konsens erreicht werden. Der Fall wird auf der 59. Sitzung weiter diskutiert.
Die beiden Fallstudien-Entwürfe beschäftigen sich mit Sachverhalten und Fragestellungen, die in der Praxis häufig vorkommen und zu großen Unsicherheiten bei den Wirtschaftsbeteiligten aber auch bei den Zollverwaltungen führen. Es bleibt daher sehr zu wünschen, dass man sich auf der 59. Sitzung des Technischen Ausschuss für den Zollwert bei der WCO auf endgültige Fassungen einigt und die beiden Fallstudien im Anschluss veröffentlicht.
SV