26.3.2024
Mit Vorabentscheidungsersuchen vom 13. Dezember 2023 hat das Oberste Verwaltungsgericht Litauens dem EuGH zwei sehr interessanten Fragen zum zollwertrechtlichen Umgang mit vorläufigen Preisen gestellt, die nachträglich - d.h. nach Abgabe der Zollanmeldung und Überlassung der Waren zum zollrechtlich freien Verkehr) - aufgrund außerhalb des Einflussbereichs der Geschäftspartner liegender Umstände, die im Zeitpunkt der Anmeldung nicht bekannt waren, nach oben oder nach unten angepasst werden. Fraglich ist für das Gericht, ob der Zollwert in solchen Fällen nach Art. 70 UZK ermittelt werden kann und ob der Anmelder – sollte der Zollwert nach Art. 74 UZK ermittelt werden müssen – nicht verpflichtet ist, bei den Zollbehörden eine Änderung des angemeldeten Zollwerts nach Art. 173 Abs. 3 UZK zu beantragen.
Zum Sachverhalt: Die litauische Klägerin führte im Zeitraum von Anfang Oktober 2015 bis Ende April 2017 Diesel und Flugturbinenkraftstoff von unterschiedlichen drittländischen Lieferanten nach Litauen ein. Die mit den Lieferanten geschlossenen Verträge und die der Klägerin ausgestellten Pro-forma-Rechnungen wiesen einen von der Klägerin für den Kauf der Waren zu zahlenden vorläufigen Preis aus. In den Zollanmeldungen gab die Klägerin diesen vorläufigen Preis als Zollwert an und verwendete dabei den Zollwertbestimmungscode „6“ (Zollwert nach Art. 74 Abs. 3 UZK – Schlussmethode). Nach den Bestimmungen der Lieferantenverträge wurde der vorläufige Preis nachträglich angepasst, um den nach der Einfuhr der Waren aufgetretenen Umständen, wie den durchschnittlichen Kraftstoffpreisen auf dem Markt für den einschlägigen Zeitraum und dem durchschnittlichen Wechselkurs für den einschlägigen Zeitraum, Rechnung zu tragen. Die Klägerin und ihre Lieferanten kamen durch zusätzliche Vereinbarungen (Anhänge zu den Verträgen) über diesen geänderten Preis (= Endpreis) überein, auf deren Grundlage die Lieferanten geänderte Rechnungen ausstellten. In Abhängigkeit von den oben genannten Marktpreisschwankungen lag der Endpreis in einigen Fällen höher als der vorläufige Preis und in anderen Fällen niedriger.
Im Rahmen einer Steuerprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin - nachdem sie die von den Lieferanten geänderten Rechnungen erhalten hatte – zunächst eigenständig Anpassungen des in den Zollanmeldungen angemeldeten Warenwerts vornahm. Für Einfuhren ab Anfang Oktober 2016 (bei denen die vorläufigen Preise nachträglich allesamt erhöht wurden) beantragte die Klägerin dagegen keine Anpassung der angemeldeten Zollwerte mehr. Aus welchen Gründen die Klägerin ihre Verfahrensweise geändert hat, geht aus dem Sachverhalt leider nicht hervor [das EuGH-Urteil im Fall „Hamamatsu“ C-529/16 (abgedruckt in Fach 7100 Nr. 44) ist erst zum 20.12.2017 ergangen, allerdings stammte der Vorlagebeschluss des FG München 14 K 1974/15 (abgedruckt in Fach 7500 Nr. 22) vom 15.9.2026, so dass hier doch eine zeitliche Nähe zu sehen ist]. Auch sind Einzelheiten zu den Preisanpassungsklauseln in den Lieferverträgen nicht bekannt.
Im Gegensatz zur Klägerin ermittelte die litauische Zollbehörde die Zollwerte nach Art. 70 UZK und verwendete den in den geänderten Rechnungen genannten Endpreis als Zollwert. Sie nahm also den angemeldeten vorläufigen Preis als Transaktionswert an, der nachträglich geändert bzw. angepasst wurde, um den Endpreis widerzuspiegeln. Nach Auffassung der Zollbehörde wäre die Klägerin nach Erhalt der geänderten Rechnungen mit dem Endpreis der Lieferanten verpflichtet gewesen, die in Rede stehenden Einfuhranmeldungen anzupassen. Gegen diese Rechtsauffassung und die daraufhin erhobenen Verzugszinsen richtet sich die Klage.
Für das oberste Verwaltungsgericht Litauens stellt sich im vorliegenden Fall zunächst die Frage nach der zutreffenden Zollwertermittlungsmethode. Es tendiert wohl dazu, dass eine Zollwertermittlung nach Art. 70 UZK nicht möglich ist. Denn der Endpreis der eingeführten Waren war dem Zollamt im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung weder bekannt noch konnte er ihm bekannt sein. Auch wenn die nachträgliche Anpassung der Preise u.a. zu den „Bedingungen für das Kaufgeschäft“ über die in Rede stehenden Waren i.S.d. Art. 70 Abs. 3 Buchst. b UZK gehören würde, könne davon ausgegangen werden, dass die Wirkung dieser Bedingung auf den tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preis im Zeitpunkt der Überlassung der Waren zum zollrechtlich freien Verkehr nicht hätte geprüft werden können. Außerdem könne die Angabe eines vorläufigen Preises in der Anmeldung, der nachträglich nach unten oder nach oben angepasst wird, zu einem willkürlichen oder fiktiven Zollwert führen, was mit der Anwendung der Transaktionswertmethode unvereinbar wäre. Gestützt würde diese Auffassung durch das EuGH-Urteil im Fall „Hamamatsu“ C-529/16 vom 20.12.2017 (ECLI:EU:C:2017:984), auch wenn der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt von dem hier vorliegenden abweicht. Letztlich lagen auch keine Anhaltspunkte für einen Betrug, einen Rechtsmissbrauch oder eine andere Form von Steuerhinterziehung vor.
Daneben stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob der Anmelder bei einer Zollwertermittlung nach Art. 74 UZK nicht verpflichtet gewesen wäre, den angemeldeten Zollwert zu korrigieren, nachdem ihm der endgültige Preis bekannt geworden ist. Denn nach Art. 173 Abs. 3 UZK kann dem Anmelder auch nach der Überlassung der Waren eine Änderung der Zollanmeldung gestattet werden, damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Verfahren erfüllen kann.
Obwohl der Zollwert – so das vorlegende Gericht – den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert einer eingeführten Ware widerspiegeln und alle Bestandteile, die einen wirtschaftlichen Wert haben, berücksichtigen muss, ergibt sich aus Art. 173 Abs. 3 UZK nicht, dass diese Vorschrift eine Pflicht für den Anmelder vorsieht, einen Antrag auf Änderung der Anmeldung zu stellen, wobei das Wort „Änderung“ auch beinhaltet, dass es Fehler oder Ungenauigkeiten in der Anmeldung geben kann, die berichtigt werden müssen. Insoweit sei zweifelhaft, ob der Umstand, dass eine Methode für die Zollwertbestimmung nicht angewendet wurde und im Zeitpunkt der Abgabe der Anmeldung auch nicht angewandt angewendet werden konnte, als ein solcher Fehler oder eine solche Ungenauigkeit anzusehen ist.
Daher beschloss das oberste Verwaltungsgericht Litauens, dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
„1. Ist Art. 70 UZK dahin auszulegen, dass Abs. 1 dieser Bestimmung in einem Fall wie dem vorliegenden keine Anwendung findet, wenn im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung und aufgrund des Verkaufs, der unmittelbar vor der Überführung der Waren in das Zollgebiet erfolgte, nur der vorläufig zu zahlende Preis bekannt ist, der nachträglich (d.h. nach Abgabe der Anmeldung und Überlassung der Waren zum zollrechtlich freien Verkehr) aufgrund außerhalb des Einflussbereichs der Geschäftsparteien liegender Umstände, die im Zeitpunkt der Anmeldung nicht bekannt waren, nach oben oder nach unten angepasst wird?
2. Ist Art. 173 Abs. 3 UZK dahin auszulegen, dass der Anmelder nicht verpflichtet ist, bei den Zollbehörden eine Änderung des angemeldeten Zollwerts zu beantragen, der nach Art. 74 UZK bestimmt wurde, wenn in einem Fall wie dem vorliegenden der für die Waren tatsächlich zu zahlende Preis im Sinne von Art. 70 Abs. 1 der Verordnung, der im Zeitpunkt der Abgabe der Anmeldung nicht bekannt war und nicht bekannt sein konnte, nach Überlassung der Waren zum zollrechtlich freien Verkehr bekannt wird?“
Nachdem der EuGH in der zuvor angesprochenen Rs. „Hamamatsu“ leider nicht auf das Thema „Preisanpassungsklauseln in Lieferverträgen“ – und in diesem Zusammenhang insb. auf den Kommentar Nr. 4.1 des Technischen Ausschusses für den Zollwert bei der WCO (abgedruckt in Fach 3330), der sich mit dieser Problematik auseinandersetzt – eingegangen ist, bleibt zu hoffen, dass er dies nun nachholt und eine Entscheidung trifft, die für Rechtssicherheit sorgt und zu einer praxistauglichen Lösung führt.
SV