12.7.2022
Mit Urteil vom 9. Juni 2022 C-187/21 – FAWKES Kft. – entscheidet der EuGH in einem weiteren Fall zur Zollwertermittlung nach der 2. und 3. Methode. (Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b ZK bzw. heute Art. 74 Abs. 2 Buchst. a und b UZK).
In diesem Fall führte die Klägerin im Jahr 2012 verschiedene Textilwaren aus China in das Zollgebiet der Union ein. Die Zollwerte wurden dabei zunächst auf der Grundlage der angemeldeten Rechnungspreise im Rahmen der Transaktionswertmethode (seinerzeit: Art. 29 ZK; heute: Art. 70 UZK) ermittelt. Später befand die Zollbehörde die angemeldete Preise als zu niedrig und setzte daraufhin die Einfuhrabgaben neu fest. Hierbei ermittelte sie - da sie der Meinung war, dass die Folgemethoden des Art. 30 ZK (heute: Art. 74 Abs. 2 UZK) nicht anwendbar seien - die Zollwerte im Rahmen der Schlussmethode (seinerzeit: Art. 31 ZK; heute: Art. 74 Abs.3 UZK) neu. Sie verwendete dabei innerhalb eines Zeitraumes von je 45 Tagen vor und nach der zolltariflichen Behandlung liegende Daten zu gleichen oder ähnlichen Waren aus einer nationalen Datenbank. Frühere eigene Transaktionswerte der Klägerin, die bei Verzollungen in Ungarn und in anderen Mitgliedstaaten angemeldet und von der Zollbehörde nicht beanstandet wurden, berücksichtigte die ungarische Zollverwaltung nicht.
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die ungarische Zollbehörde die mit Zollfragen befassten Stellen der Europäischen Union – OLAF, TAXUD, EUROSTAT – hätte kontaktieren müssen. Daran anschließend hätte der Zollwert dann gemäß Art. 30 Abs. 2 Buchst. a bzw. b ZK festgestellt werden können. Dabei hätten auch die früheren eigenen - von den Zollbehörden unbeanstandeten - Zollwerte berücksichtigt werden müssen. Des Weiteren müsse der für die Festsetzung geltende Zeitraum länger als insgesamt 90 Tage sein.
Der EuGH entscheidet nun, dass
1. Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b ZK dahin auszulegen sind, dass sich die Zollbehörde eines Mitgliedstaats bei der Ermittlung des Zollwerts nach dieser Bestimmung darauf beschränken kann, die Informationen aus der von ihr beschickten und betriebenen nationalen Datenbank heranzuziehen, ohne dass sie Informationen von Zollbehörden anderer Mitgliedstaaten oder von den Organen und Dienststellen der Europäischen Union einholen muss, sofern diese Informationen ausreichend sind. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Möglichkeit der betreffenden Zollbehörde, Anfragen an andere Zollbehörden oder die genannten Organe oder Dienststellen zu richten, um zusätzliche Informationen für die Ermittlung des Zollwerts zu erhalten, unberührt;
2. Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b ZK dahin auszulegen ist, dass die Zollbehörde eines Mitgliedstaats bei der Ermittlung des Zollwerts Transaktionswerte außer Acht lassen kann, die sich auf andere Transaktionen der die zolltarifliche Behandlung beantragenden Person beziehen, auch wenn diese Werte weder von dieser Zollbehörde noch von den Zollbehörden anderer Mitgliedstaaten beanstandet wurden. Dies setzt voraus, dass die Zollbehörde zum einen die Transaktionswerte von in diesen Mitgliedstaat erfolgten Einfuhren zuvor gemäß Art. 78 Abs. 1 und 2 ZK innerhalb der zeitlichen Grenzen von Art. 221 Abs. 3 ZK und gemäß dem in Art. 181a ZK-DVO vorgesehenen Verfahren anzweifelt und sie zum anderen die Außerachtlassung der Transaktionswerte von in andere Mitgliedstaaten erfolgten Einfuhren gemäß Art. 6 Abs. 3 ZK begründet sowie Umstände anführt, die sich auf die Plausibilität dieser Werte auswirken;
3. der in Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b ZK verwendete Begriff der Waren, die „zu demselben oder annähernd demselben Zeitpunkt“ wie die zu bewertenden Waren ausgeführt wurden, dahin auszulegen ist, dass sich die Zollbehörde bei der Ermittlung des Zollwerts nach dieser Bestimmung darauf beschränken kann, Angaben zu Transaktionswerten zu verwenden, die einen Zeitraum von 90 Tagen betreffen, davon je 45 Tage vor bzw. nach der zolltariflichen Behandlung der zu bewertenden Waren, sofern die während dieses Zeitraums in die Europäische Union erfolgten Ausfuhren von Waren, die gleich oder gleichartig sind wie die zu bewertenden Waren, die Ermittlung des Zollwerts der zu bewertenden Waren nach dieser Bestimmung ermöglichen.
Der EuGH begründet seine Entscheidung damit, dass die Zollbehörde bei der Anwendung der 2. und 3. Zollwertermittlungsmethode in Anbetracht ihrer Sorgfaltspflicht zwar dazu verpflichtet ist, sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Informationsquellen und Datenbanken zu konsultieren, um den Zollwert so genau und realitätsnah wie möglich zu bestimmen (Ziff. 38 und 39), sie aber nicht dazu verpflichtet werden kann, von Amts wegen oder auf bloßen Antrag systematisch Zugang zu Informationsquellen oder Datenbanken anzustreben, die für die Anwendung von Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b des ZK (heute: Art. 74 Abs. 2 und 3 UZK) nicht notwendig sind. Dies gilt insbesondere, wenn diese Informationsquellen oder Datenbanken für sie nicht frei und unmittelbar zugänglich sind oder die dort enthaltenen Informationen nicht in die zu erlassende Entscheidung aufgenommen werden können, weil es sich ggf. um aggregierte und vertrauliche Daten handelt (Ziff. 39 und 46). Wie der EuGH in den Ziff. 51 bis 55 des Urteils klarstellt, hat die Zollbehörde ihre Entscheidung über den Zollwert nämlich zu begründen und die dazu verwendeten Daten darzulegen. Vertrauliche Informationen aus einer Datenbank, mit der anhand von Methoden statistischer Erforschung Geschäftsmodelle aufgefunden werden sollen, bei denen es sich um Betrugsfälle handeln könnte, können aber gerade nicht zur erforderlichen Begründung nach Art. 6 Abs. 3 ZK herangezogen werden.
Wenn die Zollbehörde also aus nationalen Datenbanken bereits über die zur Zollwertermittlung nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b ZK erforderlichen Angaben verfügt, müssen keine Informationen aus Datenbanken anderer Zollbehörden oder der Dienststellen der Union ermittelt werden, da diese nicht von besonderem Nutzen sind (Ziff. 42). Darüber hinaus würde eine solche Verpflichtung jede Prüfungsmaßnahme erschweren, was dem Ziel der Bekämpfung von Betrügereien (Art. 325 AEUV) entgegenstünde (Ziff. 45).
Bei einer Zollwertermittlung nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b ZK (heute: Art. 74 Abs. 2 Buchst. a und b UZK) kann die Zollbehörde auch andere vom betroffenen Wirtschaftsbeteiligten angemeldete Zollwerte gleicher oder gleichartiger Waren außer Acht lassen, wenn sie im Rahmen einer Überprüfung der Zollanmeldung gem. Art. 78 Abs. 1 und 2 ZK begründete Zweifel daran hat, dass der angemeldete Wert der eingeführten Waren dem für sie gezahlten oder zu zahlenden Preis entspricht (Art. 181a ZK-DVO; heute: Art. 140 UZK-IA) und diese Zweifel nicht ausgeräumt werden können (Ziff. 61 bis 63).
Des Weiteren reicht es aus, wenn die Zollbehörde bei einer Zollwertermittlung nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. a und b ZK Transaktionswerte gleicher oder gleichartiger Waren berücksichtigt, die innerhalb eines fixen Zeitraums von 90 Tagen, davon je 45 Tage vor bzw. nach der zolltariflichen Behandlung der zu bewertenden Ware, zur Ausfuhr in die Union verkauft werden (Ziff. 71). Dieser Zeitraum erscheint dem Zeitpunkt der Ausfuhr nämlich hinreichend nahe zu sein, so dass die Gefahr einer wesentlichen Änderung der Handelspraktiken und der Marktbedingungen, die die Preise der zu bewertenden Waren beeinflussen, vermieden wird. Nur wenn keine Ausfuhren gleicher oder gleichartiger Waren innerhalb dieses Zeitraums vorliegen bzw. bekannt sind, hat die Zollbehörde zu prüfen, ob solche Ausfuhren während eines längeren Zeitraums, der aber nicht zu weit vom Zeitpunkt der Ausfuhr der zu bewertenden Waren entfernt liegen darf, erfolgt sind (Ziff. 72). Damit gleicht man sich der Zeitspanne an, die Art. 142 Abs. 2 UZK-IA im Zusammenhang mit der Anwendung der deduktiven Methode als maximale Zeitspanne für die Verwendung von Verkaufspreisen vorsieht.
SV