EuGH-Urteil vom 9. Juni 2022 zur zollwertrechtlichen Definition des Begriffs „Verbundenheit“ sowie zur Zollwertermittlung nach der Schlussmethode des Art. 74 Abs. 3 UZK (C- 599/20 – UAB „Baltic Master“)

12.7.2022

Mit Urteil vom 9. Juni 2022 C-599/20 – UAB Baltic Master – hat der EuGH entschieden, dass 

1. nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Käufer und der Verkäufer im Rechtssinne Gesellschafter sind oder aufgrund eines unmittelbaren oder mittelbaren rechtlichen Kontrollverhältnisses miteinander verbunden sind, wenn es keine Unterlagen gibt, aus denen sich eine solche Verbindung ableiten lässt;    

2. der Käufer und der Verkäufer aufgrund eines unmittelbaren oder mittelbaren tatsächlichen Kontrollverhältnisses als miteinander verbunden angesehen werden können, wenn die durch objektive Anhaltspunkte belegten Bedingungen des Abschlusses der fraglichen Geschäfte nicht nur als Hinweis darauf angesehen werden können, dass zwischen dem Käufer und dem Verkäufer eine enge Vertrauensbeziehung besteht, sondern auch darauf, dass einer von ihnen in der Lage ist, dem anderen Beschränkungen aufzuerlegen oder Anweisungen zu erteilen, oder dass ein Dritter ihnen gegenüber dazu in der Lage ist;    

3. Art. 31 Abs. 1 ZK dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass der Zollwert einer eingeführten Ware, wenn er nicht nach den Art. 29 und 30 ZK ermittelt werden konnte, auf der Grundlage von Informationen in einer nationalen Datenbank über den Zollwert der einzigen Waren desselben Ursprungs ermittelt wird, die zwar nicht „gleichartig“ im Sinne von Art. 142 Abs. 1 Buchst. d ZK-DVO sind, aber unter denselben TARIC‑Code fallen.

Im vorliegenden Fall hatte die litauische Klägerin unterschiedliche Teile von Klimaanlagen von einem Verkäufer in Malaysia erworben, die immer unter denselben TARIC Code 8415 90 00 90 zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet wurden. Die litauische Zollbehörde lehnte die in den Anmeldungen angegebenen Transaktionswerte ab und setzte den Zollwert nach Art. 31 ZK neu fest, indem sie den Transaktionswert eines einzigen anderen Importeurs heranzog, welcher ebenfalls Waren mit dem gleichen TARIC Code aus Malaysia importierte.

Zur Begründung führte die Zollbehörde an, dass die Klägerin als mit dem malaysischen Verkäufer verbunden anzusehen sei, und dies, obwohl es keine Unterlagen gab, aus denen das Vorliegen einer Verbundenheit i.S.d. Art. 143 Abs. 1 ZK-DVO hervorgeht. Trotzdem seien die beiden Kaufvertragsparteien nach den Buchst. e) und/oder f) (Vorliegen einer Kontrollsituation) bzw. sogar nach Buchst. b) (Teilhaber oder Gesellschafter von Personengesellschaften) dieser Vorschrift als miteinander verbunden anzusehen, da zwischen Ihnen eine langjährige besonders enge Geschäftsbeziehung vorläge, die auf einem hohen Maß an Vertrauen beruht, das für eine gewöhnliche Geschäftsbeziehung nicht charakteristisch ist. Dies spräche de facto für eine Verbundenheit.

Die besonders enge Geschäftsbeziehung ergäbe sich insbesondere daraus, dass Verkäufer und Klägerin durch langjährige Handelsbeziehungen miteinander verbunden seien (1), die Waren ohne irgendwelche Kaufverträge geliefert würden, in denen die Lieferung, Zahlung oder Rücksendung der Waren oder andere für solche Geschäfte spezifischen Bedingungen geregelt sind (2), die Waren ohne Vorauszahlung und ungeachtet der Tatsache geliefert würden, dass der Kläger dem Verkäufer aus früheren Lieferungen erhebliche Beträge schuldete, ungeachtet der besonders hohen Größenordnung der streitigen Transaktionen keine Maßnahmen zur Vollstreckung oder Risikominderung (Vorauszahlungen, Sicherheiten, Bürgschaften, Verzugszinsen etc.) vorgesehenen waren, die in einer normalen Geschäftsbeziehung üblich seien (4), es keine Anhaltspunkte dafür gäbe, dass der Verkäufer irgendeine Kontrolle über die Zahlung und andere Verpflichtungen ausgeübt habe (5) und in einigen Fällen Personen, die für das Unternehmen des Klägers arbeiteten, im Namen und in Vollmacht des Verkäufers auftraten und dessen Firmenstempel verwendeten (6).

Die Zollbehörde hatte daraufhin die nachrangigen Methoden geprüft und dabei insb. eine Zollwertermittlung nach Art. 30 Abs. 2 Buchst. b ZK (heute: Art. 74 Abs. 2 Buchst. b UZK) verworfen, da hinsichtlich des anhand einer nationalen Einfuhrdatenbank ermittelten einzigen Wertes eines anderen Importeurs, der Waren mit demselben TARIC-Code aus Malaysia eingeführt hatte, nicht festgestellt werden könne, ob diese Waren als „gleichartig“ mit den von der Klägerin eingeführten Waren anzusehen seien. Gleichwohl ermittelte die Zollbehörde den Zollwert schließlich unter Verwendung dieses Wertes aus dem einzigen anderen Einfuhrfall dann nach der Schlussmethode des Art. 31 ZK (heute: Art. 74 Abs. 3 UZK).

Die EuGH führt im vorliegenden Urteil aus, dass Personen nur dann als verbunden angesehen werden können, wenn sie unter einen der in Art. 143 Abs. 1 ZK-DVO (heute: Art. 127 UZK-IA) abschließend aufgezählten Fälle fallen (Ziff. 29 und 31). In diesem Zusammenhang begegnet der EuGH dem von der KOM vorgetragenen Argument, dass eine zu enge Auslegung des Art. 143 ZK-DVO dazu führen würde, die praktische Wirksamkeit des Art. 29 Abs. 1 Buchst. d ZK (heute: Art. 70 Abs. 3 Buchst. d UZK) zu beeinträchtigen, da die Zollbehörden dann nicht die Möglichkeit hätten, einen Transaktionswert außer Betracht zu lassen, damit, dass die Transaktionswertmethode immer vorrangig anzuwenden ist. Die Bestimmungen, die eine Abweichung von diesem Grundsatz erlauben, sind daher als Ausnahmen von diesem Grundsatz eng auszulegen.
In diesem Kontext entscheidet der EuGH, dass Art. 143 Abs. 1 Buchst. b ZK-DVO (heute: Art. 127 Abs. 1 Buchst. b UZK-IA) nur Personen betrifft, die im Rechtssinne „Gesellschafter“ sind. Daher wird für die Feststellung, dass eine solche Verbindung besteht, verlangt, dass die in den nationalen Bestimmungen über die Gesellschaftereigenschaft vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Damit wird jede nicht rechtliche Verbindung ausgeschlossen (Ziff. 36).

Hinsichtlich des Vorliegens einer Verbundenheit nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. e und f ZK-DVO (heute: Art. 127 Abs. 1 Buchst. e und f UZK-IA) ist zwischen einer rechtlichen und tatsächlichen Kontrolle zu unterscheiden. Im vorliegenden Fall lag kein Dokument vor, aus dem sich ein unmittelbares oder mittelbares rechtliches Kontrollverhältnis ergibt. Darüber hinaus kann nach der erläuternden Anmerkung zu Art. 143 Abs. 1 Buchst. e ZK-DVO in Anhang 23 ZK-DVO von einer tatsächlichen Kontrolle nur ausgegangen werden, wenn eine Person in der Lage ist, der anderen Person Beschränkungen aufzuerlegen oder Anweisungen zu erteilen. Auch wenn im vorliegenden Fall eine enge Vertrauensbeziehung zwischen dem Verkäufer und der Klägerin bestand, lässt dies nicht den Schluss zu, dass eine solche Beschränkungs- oder Weisungsbefugnis gegeben war. Dies ist jedoch vom vorlegenden Gericht noch zu überprüfen (Ziff. 39 und 40).

Sollte das vorlegenden Gericht nach dieser Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass eine Zollwertermittlung nach Art. 29 ZK (heute: Art. 70 UZK) tatsächlich nicht möglich ist, spricht nach Auffassung des EuGH nichts dagegen, im vorliegenden Fall die aus einer nationalen Datenbank stammenden Daten über Waren desselben TARIC-Codes, die von dem Verkäufer stammen, der auch die zu bewertenden Waren verkauft hat, als „in der Union verfügbare Daten“ i.S.d. Art. 31 Abs. 1 ZK (Schlussmethode) anzusehen und damit zur Ermittlung des Zollwertes der betreffenden Waren heranzuziehen (Ziff. 54). Der EuGH begründet dies damit, dass bei der Anwendung der Schlussmethode eine angemessene Flexibilität angebracht ist (insb. bei der Beurteilung des Begriffs „gleichartige Waren“; Ziff. 52) und die Zollwerte möglichst auf schon früher ermittelte Zollwerte beruhen sollten (Ziff. 48). Somit ist die Verwendung der Daten aus der nationalen Datenbank eine im Sinne von Art. 31 Abs. 1 ZK „zweckmäßige“ Methode zur Ermittlung des Zollwerts.

SV
 


Verlag C.F. Müller

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