Krise der EU

14.4.2020

Kaum ist etwas Ruhe in die Brexit-Diskussionen gekommen, sieht sich die EU – wie auch alle Staaten und Staatengemeinschaften der Welt – einer noch vielfach schlimmeren Krise ausgesetzt. Der sich seit Mitte Februar immer weiter ausbreitende Covid-19-Virus mit all seinen schrecklichen Folgen im humanitären wie auch im wirtschaftlichen Bereich dürfte sich zur größten Herausforderung an die Völker der Welt seit dem 2. Weltkrieg entwickeln. Ob die EU dies in ihrer derzeitigen Zusammensetzung finanziell und politisch überlebt, dürfte auch angesichts der schon bestehenden riesigen Spannungen fraglich sein. Gerade hat der EuGH mit Urt. v. 2.4.2020 in den vb. Rs.C-715/17, C-718/17 und C-719/17 Ungarn, Polen und Tschechien wegen Vertragsverletzung verurteilt, weil sie 2015 und bis heute entgegen einem mehrheitlich getroffenen Beschluss keine oder nur wenige (Tschechien) Flüchtlinge zur Milderung der Flüchtlingskrise aufgenommen haben. Die Berufung dieser Länder auf ihre innere Sicherheit könne zwar im Einzelfall zur Ablehnung eines Flüchtlings, keinesfalls aber pauschal zur Rechtfertigung der Verweigerungshaltung führen (s. dazu die PM Nr. 40/2020 des EuGH v. 2.4.2020). Jetzt darf man gespannt sein, wie es in der Flüchtlingsfrage – auch angesichts der wegen des Virus nahezu unabwendbaren Katastrophe in den Flüchtlingslagern in Griechenland, der Türkei und Syrien – weitergeht. Ferner ist die Rechtstaatlichkeit in Ungarn nicht nur in Gefahr, sondern sie existiert nicht mehr, nachdem Orban mit seiner Partei dort mit einem Ermächtigungsgesetz, das an die Machtergreifung der Nazis 1933 erinnert, das Parlament entmachtet und die gesamte Macht als Diktator an sich gerissen hat. Das können und dürfen die anderen EU-Mitgliedstaaten nicht dulden und totschweigen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Gemeinsame Erklärung zu Rechtsstaatlichkeit in Zeiten von Covid-19 von 16 EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Portugal, Spanien und Schweden): „In dieser beispiellosen Situation ist es legitim, dass die Mitgliedstaaten außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um ihre Bürger zu schützen und die Krise zu überwinden. Wir sind jedoch tief besorgt angesichts der Gefahr, dass die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte durch das Ergreifen gewisser Notfallmaßnahmen verletzt werden. Notfallmaßnahmen sollten sich auf das Allernötigste beschränken, angemessen und befristet sein, regelmäßig geprüft werden und die oben genannten Prinzipien und völkerrechtlichen Verpflichtungen wahren. Sie sollten nicht die freie Meinungsäußerung oder die Pressefreiheit einschränken. Wir müssen diese Krise gemeinsam überwinden und unsere europäischen Grundsätze und Werte auf diesem Weg gemeinsam aufrechterhalten. Wir unterstützen daher die Initiative der Europäischen Kommission, die Notfallmaßnahmen und ihre Anwendung zu überwachen, um sicherzustellen, dass die Grundwerte der Europäischen Union gewahrt werden, und fordern den Rat für Allgemeine Angelegenheiten auf, sich gegebenenfalls mit der Angelegenheit zu befassen“ (PM des Rats v 2.4.2020). Bezeichnend ist, dass kein osteuropäischer Mitgliedstaat diese Erklärung unterstützt hat. Auch Österreich und Finnland fehlen! Die Risse in dem Gefüge der EU sind unverkennbar.

KPME


Verlag C.F. Müller

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